Das Scheitern des Bretton-Woods-System

Bretton-Woods-Systems

1. Einleitung und vorangestelltes Resümee im Bretton-Woods-Systems

Das Bretton-Woods-System scheiterte 1971, als die Golddeckung für den US-$ durch den
US-Präsidenten Nixon einseitig aufgehoben wurde.
Meine These lautet: Das Scheitern des Systems war bereits 1944 in den Ergebnissen der
Konferenz von Bretton-Woods angelegt als man sich für den US-Dollar als internationales
Ausgleichsmittel entschied, welcher zugleich als nationale Währung fungierte. Es soll gezeigt
werden, dass ein internationales Zahlungsausgleichsmedium neutral und symmetrisch
Gläubiger und Schuldner belastend ausgestaltet werden sollte, wie dies im Bancor-Plan von
Keynes vorgesehen war. Die gleichzeitige Funktion als internationales Ausgleichsmittel und
als Tauschmittel für eine nationale Volkswirtschaft ist zutiefst problematisch und für beide
Zwecke im Zweifel kontraproduktiv. Die gleichzeitige Dienerrolle der US-Währung für zwei
Herren, nämlich als nationales Zahlungsmittel und zugleich als internationales Medium
musste dazu führen und hat dazu geführt, dass die nationale Währung inflationierte und auf
längere Sicht ihrer Qualität als Ausgleichsmedium für Zahlungsbilanzdefizite verlustig ging.
Darüber hinaus soll aufgezeigt werden, dass und wie ein internationales Währungssystem
basierend auf einer Kunstwährung wie dem Bancor hätte funktioniert und hätte funktionieren
können.

Vortrag (überarbeitet) von Jörg Gude, RFH Köln, am 28.2.2008 auf der 3. Jahrestagung der Keynes-Gesellschaft in Berlin.

2. Niemand kann zwei Herren dienen, auch der Mammon nicht

In der Bibel heißt es in Matthäus 6,24:
„Niemand kann zwei Herren dienen; entweder er wird den einen hassen und den anderen
lieben, oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott
dienen und dem Mammon.“

Und in Lukas 16,13 finden wir mit Ausnahme der Einführungsworte die gleiche Formulierung:
„Kein Knecht kann zwei Herren dienen; entweder er wird den einen hassen und den anderen
lieben oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott
dienen und dem Mammon.“

Soweit die Bibel. Aber auch der Mammon selbst kann nicht zwei Herren dienen oder Knecht
derselben sein. Das lehrt uns die Erfahrung mit dem Währungssystem von Bretton-Woods-Systems.


Denn der Dollar im System von Bretton-Woods diente zweierlei Herren, war zweierlei
Knecht: Einerseits ein nationales Zahlungsmittel für die Amerikaner und andererseits ein
internationales Reserve- und Zahlungsbilanzausgleichsmedium. Diese Doppelrolle des
$ hatten die Amerikaner unter Führung von Harry Dexter White in Bretton-Woods
durchgesetzt, gegen den Bancor-Plan von John Maynard Keynes.

Damit war der Grundstein für das spätere Scheitern des Bretton-Woods-System gelegt, wie zu
zeigen sein wird.

Lassen Sie mich die Überzeugung ausdrücken, dass auch die traditionell dem Geld zuge-
schriebenen Rollen als Tauschmittel und Wertaufbewahrungsmittel einander diametral
entgegenstehen: Das Geld als Tauschmittel wird gegen Waren oder Dienstleistungen
hingegeben, also weggegeben, während eine Verwendung als Wertaufbewahrungsmittel
Hortung und Verweigerung von Austausch beinhaltet.

Bei Realisierung des Bancor-Vorschlags von Keynes dagegen hätte eine internationale
Kunstwährung namens Bancor eine Ausgleichsfunktion zwischen den Volkswirtschaften
übernommen, die ein Leistungsbilanzdefizit aufweisen und denen, die einen                                      Leistungsbilanzüberschuss aufweisen.

3. Kein Mittel kann 2 Zielen dienen (Tinbergen-Regel) im Bretton-Woods-Systems

Wer dem biblisch-prosaischen Ansatz nicht folgen mag, der wird sich vielleicht von der
(zumindest analogen) Anwendung der Tinbergen-Regel überzeugen lassen. Danach soll die Zahl der verfügbaren Instrumente mindestens so hoch wie die Anzahl der Ziele sein.

Für den Dollar als nationale Währung der US-Amerikaner gibt es eine eigenständige Zielsetzung der Versorgung der Wirtschaftssubjekte mit diesem Tauschmedium und einer
optimalen Geldmenge.

Nur rein zufällig ermöglicht die Bereitstellung dieser Geldmenge auch ein optimales Interagieren auf der Ebene als internationales Medium, den der Dollar im
Bretton-Woods-Systems ebenfalls einnahm.

Umgekehrt gewendet könnte es sein, dass die Ausrichtung der US-amerikanischen Notenbankpolitik an internationalen Erfordernissen der ausreichenden und nicht maximal limitierten Nachfrage nach dem Ausgleichsmittel US-$ zu einer nicht binnenwirtschaftlich-adäquaten Bereitstellung von Dollars führt, sondern zu einem Überangebot mit Kaufkraftverlust des
Geldes und international auch der Währung, welche durch Paritätsveränderung mittels Abwertung ihren Ausdruck findet und nach dem Verlauf der Ereignisse auch tatsächlich fand.


Gegen den Grundsatz, kein Mittel kann 2 Zielen dienen, ließe sich einwenden, dass doch die Möglichkeit einer Zielkongruenz bestehen kann. Diese ist aber gerade in Bezug auf die soeben erörterten unterschiedlichen Anforderungen an eine nationale Währung einerseits und ein internationales Verrechnungsmittel nicht gegeben.

Wir dürfen mutmaßen, dass John Maynard Keynes als Mathematiker dieser Zusammenhang bekannt war und er ganz bewusst in seinem Bancor-Vorschlag auf die Trennung von nationalen Währungen und supranationalem Ausgleichsmedium setzte.

4. Bretton-Woods-Systems – Rückblende: Wenn das Gold ausgeht …

Zweimal haben es die Franzosen verstanden, den Amerikanern und der Welt eine Lektion in
Sachen Golddeckung der Währung zu erteilen.

(1 ) Kein Geringerer als Milton Friedman berichtet aus der Bankpraxis der 30er Jahre:

“Die Banque de France ersuchte die Federal Reserve Bank, einen Teil ihrer Dollarbestände zum
garantierten Kurs von 20,67US-$ je Feinunze einzulösen.                                                                                                 Um das Gold nicht über den Atlantik verschiffen zu müssen, wurden der Banque de France in                                             den Kellern der Fed eigene Goldschließfächer eingerichtet. Kaum war dies bekannt geworden,                                         ging die Angst vor dem Verschwinden der amerikanischen Goldreserven um – der Dollar galt                                            als geschwächt, derfranzösische Franc als gestärkt“

(Bernd Striegel, Über das Geld. Geschichte und Zukunft des
Wirtschaftens, Blaubeuren bei Ulm 2004, S. 203, der sich auf Milton Friedman, Geld regiert
die Welt – Neue Provokationen vom Vordenker der modernen Wirtschaftspolitik, Düsseldorf
– Wien – New York –Moskau 1992 bezieht).

(2) Das 1944 in Bretton-Woods gegebene Versprechen der Goldeinlösung des US-$ wurde
alsbald zum Trugbild, zum unerfüllbaren Versprechen, welches es schon ein Jahrhundert
zuvor in Wirklichkeit gewesen war. Die emittierte Geldmenge war schon im 19. Jahrhundert
größer als der Goldhinterlegungsgrad und in der Peelschen Bankakte von 1844 für England
gesetzlich festgelegt (vgl. Bernd Striegel, S. 196f). Andernfalls hätte man Goldmünzen und
nicht Papiergeldemissionen umlaufen lassen können. In den 1960er Jahren gab es eine
„verstärkte Neigung ausländischer Banken“ und hier insbesondere wiederum der Banque de
France, „ihre kurz vor Kriegsende wieder an Gold gebundenen Taler (35 US-$ entsprachen
einer Unze Gold, seit 1. Juli 1944) gegen Gold bei der Federal Reserve Bank einzulösen.
Längst waren natürlich viel mehr davon im Umlauf als Gold für sie hätte ausbezahlt werden
können, auch deshalb, weil die amerikanische Regierung beständig Geld druckte, um
damit etwa den Vietnamkrieg zu finanzieren“ (Bernd Striegel, Über das Geld, a.a.O., S.197).

Natürlich ist der Vietnamkrieg zu erwähnen, aber das Währungssystem selbst war krank und
ungesund von Anfang an, litt unter einem Geburtsfehler, welcher es den Amerikanern sowohl
erlaubte als auch von ihnen erzwang, die weltwirtschaftlich bedingte Nachfrage nach
Dollars durch ein Hervorbringen einer inflationierenden US-amerikanischen Währung zu
befriedigen.

Bernd Senf schreibt: „Erst als 1969 ein einziges Land von mittlerweile an die hundert
Mitgliedsländern, nämlich Frankreich, von der Goldeinlösegarantie vollen Gebrauch machen
wollte, kam das System ins Wanken. Der Hintergrund war der, daß Frankreich damals unter
Staatspräsident de Gaulle die Vision einer neuen Großmacht entwickelte, und sich in vieler
Hinsicht aus der Vorherrschaft der USA lösen wollte.. Das drückte sich auch aus im Aufbau
einer französischen Atomstreitmacht, in der Durchsetzung einer Sonderrolle in der NATO,
aber auch auf währungspolitischem Gebiet. De Gaulle traf die USA an einem ihrer
mittlerweile empfindlichsten Punkte, nämlich an ihren zusammengeschrumpften Goldre-
serven“ (Bernd Senf, Der Nebel um das Geld, Zinsproblematik, Währungssysteme, Wirt-
schaftskrisen, 9. A , Kiel 2007, S. 187) .

5. Der Bankrott der US-Notenbank und eine Weltwirtschaftskrise als Alternative zur Aufhebung der Golddeckung des US-$

„Was wäre“, so fragt Striegel, „bei einer Aufrechterhaltung der Garantie der Einlösefähigkeit
des Dollars eingetreten? Der Bankrott der Notenbank! (alle Bankrotte von Nichtnotenbanken
werden dagegen durch die Nichterfüllbarkeit von Geldlieferungsversprechen, nicht durch die
Nichterfüllbarkeit von Geldeinlöseversprechen ausgelöst!). Der Bankrott wäre außerdem
begleitet gewesen von einer rapide sinkenden Geldmenge, da jeder eingelöste Geldschein
vom Markt verschwunden wäre, ohne daß ein neuer wieder hätte emittiert werden können,
weil es ja am Gold dafür gefehlt hätte. Das hätte dann unmittelbar eine massive Wirtschafts-
krise zur Folge gehabt“ (Bernd Striegel a.a.O., S. 197).

Diese Form der Geldmengenverringerung hat es während der Weltwirtschaftskrise unter
anderem in Deutschland gegeben. Auslöser: Der Abzug von amerikanischen Kurzfristkre-
diten, der Abzug von Bankeinlagen, der Abfluss von Devisen, der in Goldabflüssen ins
Ausland endete und im Reichsinnern die Verringerung der Geldmenge durch die Reichsbank
nach sich zog…


Um diese Gefahr einer Wirtschaftskrise wusste US-Präsident Nixon, „und er wusste es auch
zu verhindern: am 15. August 1971 erklärte er die Inkonvertibilität des Goldes – also die
Nichteinlösefähigkeit der Währung“ (Bernd Striegel, a.a.O., S. 197 mwN).

Dies war – wie so manches, was die USA unternehmen – wider alles Recht. Bernd Senf schreibt:                                      „Als Frankreich die Einlösung seiner Dollarreserven in Gold forderte, wurde deutlich, daß den
USA international die Zahlungsunfähigkeit drohte. Die Goldreserven reichten kaum mehr aus,
um die Forderungen nur eines Mitgliedslandes zu begleichen“ (Bernd Senf, Der Nebel um das
Geld., a.a.O., S.187).

„Kurz nach dieser internationalen Bloßstellung der USA erklärte der damalige Präsident Nixon
1971, daß die Goldeinlösegarantie mit Wirkung ab sofort eingestellt würde. Die USA waren
damit international pleite und entzogen sich von einem Tag auf den anderen ihren Verpflich-
tungen. Und dies nicht etwa nach zähen Verhandlungen mit den daran beteiligten Ländern
oder Zentralbanken über die Gewährung eines Überbrückungskredits oder eines Schuldener-
lasses, sondern schlicht und einfach durch einseitige Erklärung des amerikanischen Präsiden-
ten“ (Bernd Senf, Der Nebel um das Geld, a.a.O., S. 187.)

„… Was mit der Aufhebung der
Goldeinlösegarantie an die Oberfläche kam, war genau genommen Wirtschaftskriminalität auf
höchster Ebene und in größtem Ausmaß. Und keiner der Verantwortlichen wurde jemals dafür
zur Rechenschaft gezogen“ (ebenda S. 188).

Wenn man auch eine übereinstimmenden Beschreibung der Geschehnisse und Würdigung bei
Striegel und Senf entnehmen kann, so bleibt zwischen beiden Autoren es eine Frage des
Verständnisses und der Wertung, ob tatsächlich von einem Bankrott der US-Notenbank oder
gerade dessen Vermeidung gesprochen werden kann.

6. Keine solche existentielle Währungskrise und kein Bankrott bei der Internationalen
Clearing Union möglich

Gehen wir einmal der Frage nach, ob es zu so einem Zusammenbruch des internationalen
Währungssystems auch bei Verwirklichung der von Keynes vorgeschlagenen Internationalen
Clearing Union gekommen wäre oder hätte kommen können.

In seinen Proposals nimmt Keynes dazu unter Ziff. 5 wie folgt Stellung:
„Die Idee, die einer solchen Union zugrunde liegt, ist einfach, nämlich: das eigentliche
Bankprinzip, wie es innerhalb eines jeden geschlossenen Systems gehandhabt wird, zu
verallgemeinern. Das Prinzip besteht im notwendigen Ausgleich von Guthaben und Schulden.
Wenn keine Guthaben aus dem Verrechnungssystem herausgezogen, sondern nur innerhalb
des Systems übertragen werden können, kann die Union niemals in irgendwelche
Schwierigkeiten kommen, was die Einlösung von Schecks anbelangt, die ihr vorgelegt
werden. Sie kann jedem ihrer Mitglieder nach ihrem Ermessen Vorschuß gewähren in der
Gewißheit, daß der Gegenwert nur auf das Verrechnungskonto eines anderen Mitglieds
übertragen werden kann. Ihre einzige Aufgabe ist es, darauf zu achten, daß ihre Mitglieder
sich an die Regeln halten, und daß die Vorschüsse, die jedem einzelnen von ihnen gegeben
werden, klug und ratsam für die Union als Ganzes sind.“                                                                                                  (John Maynard Keynes, Vorschläge für eine Internationale Clearing Union (Union für den                                    Internationalen Zahlungsverkehr), übersetzt aus den Collected Writings, Vol. XXV,                                                  Cambridge 1980 von Werner Liedtke, in:
Wesen und Funktion des Geldes, Zahlen, Leihen und Schenken im volkswirtschaftlichen
Prozess, Sozialwissenschaftliches Forum Band 3, hrsg. Von der Sozialwissenschaftlichen
Forschungsgesellschaft Stuttgart e.V. Stuttgart 1989 durch Stefan Leber, S.325ff, hier S. 327f).


Hellsichtig erscheint im nachhinein auch die vielleicht zunächst nur werbend gemeinte
Formulierung von Keynes in den Proposals unter Ziff. 2.: „Es ist kaum vorstellbar, wie irgend
ein Plan, der diese (von Keynes aufgezeigten, J.G.) Grundideen, die aus dem Zeitgeist ge-
boren sind, nicht berücksichtigt, erfolgreich sein könnte“ (ebenda S. 326).

Auf nationaler Ebene benötigte die US-Notenbank, die FED, selbstredend nicht zwangsläufig
eine Bindung des Dollars an das Gold, wie sie im Bretton-Woods-System für das Festkurssystem                                          als Anker fungierte. Damit hätte auch für die US-Notenbank keine existentielle Gefahr
bestanden, da sie – ebenso wie im System von Bretton-Woods gegenüber den Amerikanern –
kein Geldeinlöseversprechen abzugeben hätte und insofern auch nicht der von Striegel oben
bezeichneten Bankrottgefahr ausgesetzt gewesen wäre.

Zu einer positiven Würdigung der International Currency Union (ICU) nach dem Vorschlag
von Keynes kommt auch Thomas Betz:

„Die fundamentale Eigenschaft der ICU ist also die einer Institution, die multilateral barter
trading (z. dt. Kompensationsgeschäfte) organisiert und auf Basis eines „Geldes“ (gemeint ist
der Bancor, J.G.) verrechnet, das lediglich bei der Verbuchung gelieferter Leistungen auf der
Aktivseite des Lieferanten und auf der Passivseite des Verbrauchers in Erscheinung tritt, auf
Geldverkehr im üblichen Sinne also völlig verzichtet. Man könnte sie also durchaus mit
einem Tausch-Ring der Nationalstaaten vergleichen. In Bank-Termini ausgedrückt, handelt es
sich also um eine „Bank“, die sich einer nicht konvertiblen Währungseinheit bedient, keine
Liquiditätsproblem kennt, immer zahlungsfähig ist, nicht zusammenbrechen und dementspre-
chend auch auf Reserven verzichten kann. Insofern kann auch darauf verzichtet werden, dass
einzelne Mitgliedstaaten Vermögenswerte zur Verfügung stellen, um einen Kapitalstock für
einen Fond zu bilden, der Kredite vergibt (wie das bei IWF und Weltbank der Fall ist). Die
Bereitstellung der Liquidität würde in genau der zur Finanzierung des Handels erforderlichen
Größenordnung erfolgen. Im Verhältnis zum Bedarf wäre also nie zu viel oder zu wenig
internationales Geld vorhanden. Die internationale Währung wäre ausschließlich von
endogenen Prozessen bestimmt und nicht abhängig von Goldfunden, vom Vertrauen in eine
Leitwährung bzw. vom Grad der durch das Leitwährungsland zur Verfügung gestellten
Liquidität. Das in der Praxis häufig hochproblematische Dilemma zwischen der Verwendung
der Leitwährung als einerseits nationaler Währung und andererseits internationaler Liquidität
und Zentralbankreserve wäre aufgelöst. Keynes betont auch, dass ein weiterer bedeutender
Vorteil des Systems darin besteht, dass dabei nicht mehr Liquidität über Hortungsmechanis-
men dem Markt entzogen (insbesondere sollte auch die Konvertibilität des Bancor in Gold
explizit ausgeschlossen werden) und dadurch deflationärer Druck mit Kontraktionswirkungen
auf die gesamte Weltwirtschaft ausgeübt werden kann.“ (Thomas Betz, War Keynes der bessere
Gesell oder Gesell der bessere Keynes? In: Zeitschrift für Sozialökonomie, 42. Jg., 146 Folge,
Sept. 2005, S. 13-23, hier S. 18).

7. Der Keynes-Plan als Modell

Kai Mommsen beschreibt den Keynes-Vorschlag einer „Internationalen Clearing-Union“ so:
„Diese Institution sollte seinem Vorhaben nach den Internationalen Handel erleichtern und
Verschuldungsproblemen vorbeugen. Keynes wollte als Verrechnungseinheit nicht ein natio-
nales Geld wie heute den Dollar, sondern ein eigenständiges Zahlungsmittel einführen,. In
diesem Geldsystem sollten die Überziehungskredite wie üblich mit 1-2 % verzinst, aber auch
die Guthaben mit einer Abgabe in der gleichen Höhe belastet werden, ein negativer Zins. Das
Ziel Keynes` war es, dass Handelsbilanzüberschüsse immer wieder ausgeglichen werden.
Soweit Guthaben entstehen, sollten diese als billige Entwicklungskredite vergeben werden.
Auf Druck US-amerikanischer Großbanken wurde diese Vision aber nicht verwirklicht“ (Kai
Mommsen, die tyrannei des mammons, km 21.0, Berlin 2005, http://www.km21.org/capital/
tyrannei-mammon_2005.html, 23.12.2007, S. 4.)

Der Bancor-Vorschlag oder Plan ist Bestandteil der “Vorschläge für eine Internationale
Clearing Union“ (Union für den Internationalen Zahlungsverkehr), welchen Keynes im April
1943 ausformulierte. Zimmermann/Liedtke sehen darin „ein Manifest einer assoziativen
Weltwirtschaft“ und vertreten die These, wonach „Keynes’ Plan … heute aktueller denn je“ ist,
„weil er auf der Grundlage einer sachgemäßen Geldfunktion aufbaut, die niemanden
begünstigt und niemanden benachteiligt“, (Zimmermann, Edmund Josef/Liedtke,
Vorbemerkung zu John Maynard Keynes, Vorschläge für eine Internationale Clearing Union
(Union für den Internationalen Zahlungsverkehr), in: Wesen und Funktion des Geldes, Zahlen,
Leihen und Schenken im volkswirtschaftlichen Prozess, Sozialwissenschaftliches
Forum Band 3, hrsg. Von der Sozialwissenschaftlichen Forschungsgesellschaft Stuttgart e.V.
Stuttgart 1989 durch Stefan Leber, S. 323), also die Neutralität und das Gleichgewicht
zwischen Schuldner- und Gläubigerpositionen wahrt.

Hugo Godschalk betont als wesentlichen Unterschied gegenüber dem 1990 geltenden
(„heutigem“) Währungssystem „die Umlaufsicherung der internationalen Liquidität durch:
a) die konsequente Anwendung des multilateralen Clearingprinzips,
b) die supranationale Recheneinheit,
c) den negativen Zins auf Guthaben,
d) die untersagte „Barabhebung“,
e) die Anpassungslast für die Überschussländer“                                                                                                              (Hugo Godschalk, Keynes-Plan 1944 und Silvio Gesells IVA-Plan, in: Fragen der Freiheit, Heft 206                          (September/Oktober 1990), S. 35 – 46, hier S. 44).

Aus dem Gesichtspunkt der Handels- und Entwicklungsfinanzierung ist der Vorschlag von
Keynes unter zwei Aspekten vorteilhaft. Die Gläubigerstaaten können dem Negativzins
entgehen, wenn sie aus ihren Überschussguthaben in Bancor bilaterale Kredite an Defizit-
länder geben und dadurch den internationalen Handel fördern. Zugleich würden diese Ent-
wicklungskredite zu sehr niedrigen Zinsen gegeben, da die Opportunitätskosten ein Negativ-
zins von ein oder zwei Prozent sein würden, mit denen die Gläubigerländer ansonsten
ihre Bancorguthaben belastet hätten

8. Die amerikanische Interessenlage
…war jedoch eine andere.

Hugo Godschalk urteilt knapp:                                                                                                                                            „Der Vorschlag verstieß gegen die ökonomischen Interessen der USA, der wirtschaftlichen                                                    Siegermacht des Zweiten Weltkrieges. Auf der Bretton-Woods-Systems Konferenz                                                              wurde deshalb der amerikanische Gegenvorschlag vom Finanzminister White
Größtenteils übernommen. Dieser White-Plan sah eine weitere Vorherrschaft des amerika-
nischen Dollars, eine Konvertibilität der Guthaben in Gold und eine Verzinsung der Über-
Schüsse vor. Er entsprach damit weitgehend der Interessen der Gläubigerländer“ (ebenda).

Zimmermann/Liedtke machen aber auch auf Folgendes aufmerksam:                                                                           „Eine Auseinandersetzung mit den Einzelheiten des Keynes-Planes muß berücksichtigen,                                                      daß sich der Text gelegentlich in der Wortwahl und in den sprachlichen Wendungen dem                                                Interessen- und Verständnishorizont der amerikanischen Wirtschaftspolitiker anzupassen versucht.                                        Von ihnen konnte man nur ein geringes Maß an ökonomischer Vernunft erwarten. Sie waren                                            1944 geblendet durch die große, nationalen Wohlstand verheißende Aussicht, Gläubiger der ganzen                                übrigen Welt zu werden. Und sie hatten den unvergleichlich großen nationalen Hort angesammelter
Goldbarren in seiner Bedeutung zu bewahren, da darauf die wirtschaftliche Vormachtstellung
der USA beruhte“ (ebenda S. 324).

So ist es nicht verwunderlich, dass die Amerikaner unter Harry Dexter White einen Alterna-
tivplan präsentierten und auf der Bretton-Woods-Konferenz durchsetzten, der sich an der Vor-
machtstellung des US-$ orientierte und diesen sowie die anderen Währungen mittelbar in eine
feste Relation zur Feinunze Gold (35,-$ = 1 Unze Feingold) band.

Was wurde nun aus den nach Zimmermann und Liedtke von den USA antizipierten Erwar-
tungen? Keine 3 Jahrzehnte nach der Bretton-Woods-Konferenz waren die USA Schuldner
nation und konnten ihre Goldreserven nur dadurch retten, dass sie das Einlösungsversprechen
des Dollars in und gegen Gold einseitig aufhoben oder brachen. 

Keynes, so die zitierten Autoren, wusste es von vornherein besser:                                                                                „Das Gold aber repräsentierte den versteinerten Geldwert, das „barbarische Relikt“                                                               – so nannte es J.M.Keynes –, das zu überwinden war“ (ebenda).

9. Die theoretischen Grundlagen und Anleihen bei der Ausgestaltung des Bancor

…zeigt z.B. Santiago Fernandes auf . 

Er war Mitglied der brasilianischen Delegation auf der
Bretton-Woods-Konferenz und Währungsexperte der „Banco do Brasil“, der Staatsbank von
Brasilien.. Er publizierte am Vorabend der Konferenz einen Artikel, überschrieben „Oura, a
Reliquia Borbara“ (Gold, eine barbarische Reliquie) und 1967 erschien ein Buch unter glei-
chem Titel (vgl. Anmerkung der Redaktion zu Santiago Fernandes, Die Lösung der
Internationalen Währungsprobleme auf der Basis des Keynes-Planes, Zeitschrift für
Sozialökonomie, 14. Jg. , Nr. 40/41 April 1979, S. 24).

Den abgedruckten Buchauszügen vorangestellt ist die Ziff. 1 d) aus den Proposals von Keynes:

Wir brauchen ein System, das mit einem Mechanismus zur Stabilisierung der Kaufkraft im
Inland ausgerüstet ist und gleichzeitig im internationalen Verkehr auf jedes Land einen Druck
ausübt, wenn seine Zahlungsbilanz mit anderen Ländern in irgend einer Richtung aus dem
Gleichgewicht kommt und dadurch in der Bilanz seiner Nachbarn Verwirrungen
anrichtet“ (ebenda).

Fernandes bezieht sich auf Alvin Hansen und dessen In-Erinnerung-Rufen der Vorstellungen
von Keynes über ein Welt-Verrechnungs-Institut (Santiage Fernandes, a.a.O., S. 24) und den                                    Gedanken der Liegegebühr für Guthaben. Fernandes befürwortete 1967 die Anwendung
dieser Liegegebühr auch für private Dollarguthaben in Banken der USA und auf die in Dritt-
Ländern gehorteten Dollars, um sie ihrer Tauschmittelfunktion wieder zugänglich zu machen.


Das Geld müsse im Umlauf sein. Zu den gedanklichen Vorläufern zählen der in der
„Allgemeinen Theorie“ von Keynes gewürdigte Silvio Gesell, der eine Umlaufsicherung des
Geldes durch einen periodischen Wertverlust vorschlug („Freigeld“). Ebenso zählt auch
Proudhon mit seinen Tauschbank-Vorschlägen zu den gedanklichen Vorläufern.

10. Bretton-Woods-Systems – Ausblick

Die Architektur eines zukünftigen Weltwährungssystems sollte sich orientieren an den
Vorgaben des Bancor-Vorhabens von Keynes, angereichert um andere Ideen wie z.B. die
Tobin-Steuer.

Die Verknüpfung mit der Tobin-Steuer könnte vor dem Hintergrund überraschen, dass sie für
ein System flexibler Wechselkurse vorgeschlagen wurde (vgl. Gerhard Aschinger, Währungs-
und Finanzkrisen. Entstehung, Analyse und Beurteilung aktueller Krisen, München 2001, S.
342). Im System fester Wechselkurse macht sie ebenfalls Sinn, indem sie spekulativen Attak-
ken gegen einzelne Währungen weitgehend vorbeugt (vgl. ebenda mit dem Beispiel bei der
Abwertung des britischen Pfundes 1967) und die Interventionsbelastungen der nationalen
Notenbanken im Regelfall mindert.

Bereits in der „Allgemeinen Theorie …“ hat sich Keynes für eine allgemeine Transaktions-
steuer ausgesprochen im 12. Kapitel: „Die Einführung einer beträchtlichen Umsatzsteuer auf
alle Abschlüsse dürfte sich als die zweckmäßigste verfügbare Reform erweisen, um die Vor-
herrschaft der Spekulation über das Unternehmertum … abzuschwächen“ (John Maynard
Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Übersetzung
von Fritz Waeger, korrigiert und überarbeitet von Jürgen Kromphardt und Stefanie Schneider,
10. verbesserte Auflage, Berlin 2006, S.136; der Hinweis auf diese Stelle findet sich für den
englischen Text bei Gerhard Aschinger, Währungs- und Finanzkrisen, a.a.O:, S. 338 Fußnote
18).

Die Tobin-Steuer dürfte eine Ergänzung und Abmilderung der von Keynes in seinen
Proposals vorgesehenen, aber nicht näher beschriebenen Kapitalverkehrskontrollen sein (vgl.
John Maynard Keynes, Vorschläge …, a.a.o., S. 340f; Abschnitt VI, überschrieben mit „Die
Kontrolle der Kapitalbewegungen“).

Die Zukunft der Ideen von Keynes liegt noch vor uns. Ich erwarte die Verwirklichung der
Grundgedanken zunächst nicht auf der Ebene von IWF und Weltbank, sondern in regionalen
und überstaatlichen Wirtschaftseinheiten, in denen Regionen und Nationalstaaten neben den
nationalen Währungs-. und Tauscheinheiten ein Verrechnungsmittel zwischen den
Gliederungseinheiten nach den Überlegungen zum Bancor einführen.. Hier könnten zunächst
auch praktische Erfahrungen gewonnen werden, ehe das gesamte Weltwährungssystem nach
diesen Grundsätzen umkonzipiert wird.

Keynes hat uns seinen Plan als sein Testament hinterlassen

(vgl. Josef Edmund Zimmermann,
1945 – und was dann? Weltwirtschaftskrisen und Soziale Hauptgesetz, in:                                                                      Das Soziale Hauptgesetz, Beiträge zum Verhältnis von Arbeit und Einkommen, Sozialwissenschaftliches
Forum, Bd. 1, herausgegeben von der Sozialwissenschaftlichen Forschungsgesellschaft
Stuttgart e.V. durch Stefan Leber, Stuttgart 1986, S. 197-233, hier S. 208).

Verwirklichen wir seine Grundideen!                                                                                                                                Nach einem Umbau des Weltwährungssystem nach dem Keynes – Plan
könnten wir dann in einigen Jahrzehnten Rückschau nehmen mit Theodor Fontane:

„John Maynard!

Wer ist John Maynard?“ … „In Qualm und Brand“ – den Krisen des
internationalen Finanzwesens, J.G. –

„Hielt er das Steuer fest in der Hand, er hat uns gerettet, er trägt die Kron“,
sein Bancor-Vorschlag verdient „unsre Liebe, sein Lohn, John Maynard.“

Hier die gegenüber dem Vortrag leicht abgewandelte Veröffentlichung in: Alternativen Nr.
69/70, Frühjahr/Sommer 2010, S. 7 -12.

Verwendete Quellen:

https://inwo.de/medienkommentare/systemfragen-ehrlich-und-zukunftsgewandt-beantworten.html
https://inwo.de/medienkommentare/was-braeuchte-es-um-wirtschaft-und-natur-in-einklang-zu-bringen.html
https://inwo.de/medienkommentare/staerkung-der-konjunktur-durch-permanentes-wirtschaftswachstum.html
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