Wahlplakat zur Europawahl 2024 der FDP mit Marie Agnes Strack-Zimmermann. Darauf steht: „Weniger von der Leyen, mehr von der Freiheit:“
„Freiheit“ ist heute häufig ein Etikett für entgrenzte Märkte und soziale Kälte geworden. © IMAGO/Rene Traut
Ein neuer Liberalismus muss Freiheit als Balance denken. Es braucht auch den Schutz vor wirtschaftlicher Abhängigkeit. Die Kolumne „Gastwirtschaft“.
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ToggleDie liberale Idee: Freiheit als Würde und Selbstbestimmung

Die Idee des Liberalismus war einmal eine Verheißung. Freiheit bedeutete nicht nur die Abwesenheit von Zwängen, sondern auch die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu führen. Doch heute ist „liberal“ für viele zum Schimpfwort geworden – ein Etikett für entgrenzte Märkte, Privatisierung und soziale Kälte. Was aber, wenn nicht der Liberalismus das Problem ist, sondern seine Entstellung durch den Neoliberalismus, der ihn auf eine Ideologie der wirtschaftlichen Deregulierung reduziert hat?
Erneuerung des Liberalismus und sozialer Ausgleich als Voraussetzung für echte Freiheit
Freiheit benötigt sozialen Ausgleich und demokratische Teilhabe
Der Soziologe und Politiker Ralf Dahrendorf hat schon vor Jahrzehnten erkannt, dass ein Liberalismus ohne sozialen Ausgleich und demokratische Teilhabe ins Autoritäre abgleiten kann. Er war ein Liberaler, der den Liberalismus nie zum bloßen Parteiprogramm verkommen ließ. „Liberal sein heißt, die Zumutungen der Freiheit annehmen“, schrieb Dahrendorf.
Die Zumutungen einer entfesselten Marktlogik
Aber was ist mit den Zumutungen einer entfesselten Marktlogik? Wenn Freiheit bedeutet, in prekären Arbeitsverhältnissen gefangen zu sein? Wenn „Freihandel“ dazu führt, dass transnationale Konzerne mehr Macht haben als Staaten?
Die Zukunft des Liberalismus liegt nicht in der Fortsetzung dieser Entwicklung, sondern in ihrer Korrektur. Ein neuer Liberalismus muss Freiheit als Balance denken – nicht nur als Schutz vor staatlicher Übermacht, sondern auch vor wirtschaftlicher Abhängigkeit. Ein Liberalismus, der anerkennt, dass Märkte Regeln brauchen, um Freiheit für alle zu ermöglichen. Ein Liberalismus, der auf dem schmalen Grat zwischen bürgerlicher Freiheit und legitimer Macht der Gesellschaft über den Einzelnen in ständiger Bewegung bleibt.
Dazu gehört auch ein neues Verständnis von Eigentum.
Warum sollte Grund und Boden, das von Natur aus niemandem gehört, von Einzelnen monopolisiert werden?
Warum sollen digitale Plattformen, die von Milliarden Menschen genutzt werden, nur wenigen gehören?
Wer heute über die Zukunft des Liberalismus nachdenkt, muss sich diesen Fragen stellen – nicht aus Ideologie, sondern aus der Verantwortung heraus, Freiheit nicht zum Privileg einiger weniger verkommen zu lassen. Der Liberalismus, der eine Zukunft haben will, muss sich erneuern. Er muss sich von seinem zynischen, marktfixierten Image befreien und zu seinem eigentlichen Versprechen zurückfinden: einer Freiheit, die niemanden zurücklässt.
Der Autor ist Chefredakteur der Zeitschrift „Humane Wirtschaft“. © Privat
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