Zunächst sind es politische Entscheidungen wie die Privatisierung der Altersvorsorge, die viel Geld in den Anlagemarkt gepumpt hat, oder die Privatisierung der Deutschen Bahn, nach der zehntausende Eisenbahnerwohnungen zu Spottpreisen verscherbelt wurden und z.B. die Grundlage des Wohnungsbestands von Vonovia bildeten. 1988 wurde die Gemeinnützigkeit öffentlicher Wohnungen durch die Bundesregierung aufgehoben und in der Folge große Wohnungsbestände veräußert.
Außerdem verschärft sich die Wohnsituation vor allem in den Großstädten durch neue Möglichkeiten der Zweckentfremdung wie Airbnb, wodurch Wohnungen dem eigentlichen Markt entnommen werden. Zu nennen ist natürlich auch das niedrige Zinsniveau, das die Anleger in den Immobilienmarkt lockt, auf dem im Gegensatz zum Kapitalmarkt noch leistungslose Einkommen in Form von Bodenrenten erzielbar sind. Immer mehr große, professionell wirtschaftende und häufig börsennotierte Immobilienunternehmen sind daher auf dem Markt zu finden.
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ToggleWertsteigerungen als öffentliche Leistung
Die Folge der privaten Aneignung von Bodenrenten (als Geschäftsmodell) sind Grundstücksspekulation, hoher Flächenverbrauch und steigende Mieten. Die Bodenrente ist zum einen abhängig von den planungsrechtlichen Möglichkeiten. So ist eine Ackerfläche weniger wert als ein Grundstück, das als Baufläche ausgewiesen ist. Wenngleich die Wertsprünge bei solchen Umwidmungen besonders spektakulär sind, wird die Bodenrente zum anderen vor allem durch die örtlichen infrastrukturellen Gegebenheiten bestimmt: Ein Theater, schnelle Internetverbindung, Straßensanierungen, Autobahnanbindung, moderne Krankenhäuser, attraktive Kindergärten, Gymnasien und Universitäten – all das sorgt für eine Steigerung der Bodenrenten und damit der Grundstückswerte.
Die resultierenden Gewinne werden durch die Grundstückseigentümer vereinnahmt, die daher üblicherweise ein gesteigertes Interesse an Entwicklungsmaßnahmen durch die öffentliche Hand haben. Der Zusammenhang des Ausbaus der öffentlichen Infrastruktur mit den Bodenwerten ist vor allem im englischsprachigen Raum gut belegt.
Um nur einige Beispiele aus Untersuchungen für Wertzuwächse durch öffentliche Investitionen zu nennen:

Keine gerechte Beteiligung der Allgemeinheit
• Der Ausbau der Jubilee Line, einer U-Bahn-Linie, die 1979 in London eröffnet wurde, hat im Umkreis von zehn Stationen zwischen Waterloo und Stratford insgesamt einen Immobilienwertzuwachs von etwa 13 Milliarden Pfund verursacht – bei gesamten Investitionskosten in Höhe von 3,5 Milliarden Pfund.
• In London wurden auch zwei neue Bahnstrecken gebaut, woraufhin der Kaufpreis von Wohneigentum innerhalb eines Radius von zwei Kilometern um die neuen Stationen um 9,3 Prozent stärker anstieg als im übrigen London.
• Die Southern Railway in Perth ist für einen Grundstückspreisanstieg von 42 Prozent innerhalb von fünf Jahren im Umkreis der Bahnstation verantwortlich.
• Eine Studie aus Montreal zeigt, dass die Immobilienwerte innerhalb eines Radius von 500 Metern zur U-Bahn um 13 Prozent gestiegen sind, innerhalb von einem Kilometer um 10 Prozent und innerhalb von anderthalb Kilometern immerhin noch um 5 Prozent.
Einflussnahme auf die Planung
Die Wertzuwächse zeigen sich indes nicht nur in den Großstädten mit angespannten Wohnungsmärkten, sondern vor allem auch in deren Umland, den sogenannten Speckgürteln, die durch eine bessere Anbindung, etwa durch neue S-Bahn-Linien, und günstigere Immobilienpreise stark an Anziehungskraft vor allem für junge Familien gewinnen.
Ein Ausgleich planungsbedingter Bodenwertgewinne findet im deutschen Bodenrecht genau wie in den meisten westlichen Ländern grundsätzlich nicht statt. Vielerorts werden daher voll erschlossene, teils bebaute Areale ungenutzt liegengelassen, um sie künftig mit Gewinn wieder abzustoßen und die gestiegenen Bodenrenten abzuschöpfen. In der westlichen Innenstadt von London stehen beispielsweise fünf Prozent aller Wohnungen leer, insgesamt etwa 21.000 Wohnungen, die dauerhaft unbewohnt sind.
Asymmetrien im Planungsrecht
Müssen Grundstücke planungsbedingte Wertverluste hinnehmen, verpflichtet das Planungsschadensrecht nach §§ 39 ff. BauGB die Kommune hingegen, die Grundstückseigentümer für solche Verluste finanziell zu entschädigen. Diese Entschädigungsansprüche verhindern vielfach, dass aufkommenden (z.B. städtebaulichen) Problemen vorgebeugt werden kann und durch die Planung ermöglichte unerwünschte Entwicklungen jemals korrigiert werden können.
Die vorherrschende Asymmetrie ist offenkundig: Die durch die Planungsänderungen entstehenden Vermögensnachteile haben den Charakter negativer externer Effekte (externer Kosten), die das BauGB internalisiert – im Gegensatz zu den positiven externen Effekten aus der Planung. Die Grundstückseigentümer profitieren also von Wertsteigerungen in hohem Maße (Erschließungs- oder sonstige Ausbaubeiträge decken üblicherweise nur einen geringen Teil der Wertsteigerungen), werden andererseits aber für entstehende Wertverluste von der Planungsinstanz entschädigt.
Einflussnahme auf die Planung
Die Perspektive auf Vereinnahmung der planungsinduzierten Wertsteigerungen weckt verständlicherweise Begehrlichkeiten und so erwächst die Gefahr der Einflussnahme Dritter auf die Bauleitplanung. Der Volksmund spricht dann von Vettern- oder Amigowirtschaft. In einem spektakulären Fall wurde unlängst der Bürgermeister von Regensburg wegen Vorteilsnahme schuldig gesprochen.
Bis Ende der 1990er Jahre waren viele Absprachen zwischen Kommune und Baulandeigentümer rechtlich unbedenklich, wenn etwa der durch die Umwandlung von Ackerland in Bauland entstandene monetäre Vorteil ›gerecht‹ zwischen Kommune und Eigentümer geteilt wurde. Dies lässt zwar die Allgemeinheit in einer gewissen Weise an den Wertsteigerungen teilhaben, doch führen solche Arrangements offensichtlich nicht zu einer gemeinwohlorientierten städtebaulichen Entwicklung.
Am 13. August 1997 wurde daher im Rahmen des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption ein rechtlicher Rahmen geschaffen, der eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht, wenn für die Aufstellung eines Bebauungsplans ein gesetzlich nicht zulässiger Vorteil für die Gemeinde gefordert oder auch nur angenommen wird.
Auch ohne eine solche direkte finanzielle Beteiligung der Kommune wird mit Verweis auf Wirtschaftsförderung und Wettbewerbsfähigkeit weiterhin vielen privaten Infrastrukturwünschen nachgegangen.
Beispiel Isental / Meindl-Ziegel:
Das Unternehmen drängte jahrzehntelang auf den Ausbau der A94 – angeblich zur Sicherung des Standorts. Zwei Tage nach Vergabe des ÖPP-Vertrags wurde das Werk jedoch geschlossen. Das Gelände wurde später mit hohem Gewinn veräußert. Die Investitionskosten trug die Allgemeinheit, der Profit floss ins Unternehmen.
Fazit: Entkopplung von Nutzen und Kosten
Die Abschöpfung der Bodenrente ist Grund für Spekulation, ineffiziente Flächennutzung und Planungsbeeinflussung. Die UN forderten bereits 1976:
„The unearned increment resulting from the rise in land values […] must be subject to appropriate recapture by public bodies (the community).“
Vorteile der Abschöpfung durch die öffentliche Hand:
• Kommunale Investitionen werden möglich oder vorgezogen
• Effizientere Nutzung durch geringere Spekulation
• Weniger Anreize zur politischen Einflussnahme
Perspektive: Bodenwertsteuer
Eine Bodenwertsteuer belastet unbebauten und bebauten Boden gleich, setzt Eigentümer unter Druck zur Nutzung und senkt Spekulation. Sie erhöht das Flächenangebot und wirkt mietpreisdämpfend. Die Grundsteuerreform 2019 schafft die Möglichkeit, länderspezifische Modelle einzuführen – und damit auch eine faire, nachhaltige Bodenbesteuerung.
Quellen:
– Salon, Deborah (2014): Location Value Capture Opportunities for Urban Public Transport
Finance. White paper prepared for the Transit Leadership Summit, May, London: Regional
Plan Association/Volvo Research & Educational Foundations.
– Gibbons, Stephen / Machin, Stephen (2005): Valuing rail access using transport innovations.
In: Journal of Urban Economics 57/1, S. 148 169.
– Australian Government (2016): Using Value Capture to Help Deliver Major Land Transport
Infrastructure: Roles for the Australian Government. Department of Infrastructure and
Regional Development. Discussion Paper, November 2016. Canberra: Australian Government
Publications.
– National Bank of Canada (2014): Land Value Capture as a Source of Funding of Public
Transport in Greater Montreal, Montréal: National Bank of Canada.
– BGH-Urteil vom 22.6.1978, Aktenzeichen III ZR 92/75.
– Kriese, Ulrich (2019): Die Bodenrenten den Gemeinden – Aufruf »Grundsteuer_
Zeitgemäß!«. In: Brigitta Gerber / Ulrich Kriese (Hg.), Boden behalten – Stadt gestalten.
Zürich: rüffer & rub, S. 401-415, hier S. 403.
– Gask, Karen / Williams, Susan (2015): Analysing low electricity consumption using DECC
data, Office for National Statistics, Methodology Paper Series, Nr. 6.
– Umweltbundesamt (2003): Reduzierung der Flächeninanspruchnahme durch Siedlung und
Verkehr. Materialband, Texte 90/3. Berlin: Umweltbundesamt, S. 134.
– Tempel, Florian (2018): Robert Decker kauft Meindl-Areal. In: Süddeutsche Zeitung vom
2.8.2018
– Renner, Anton (2018): Decker kauft ehemaliges Meindl-Gelände. In: Merkur vom 1.8.2018.
– Zit. nach Walters, Lawrence (2013): Land Value Capture in Policy and Practice. Annual World
Bank conference on Land and Poverty. Washington DC: World Bank, S. 2.
– Löhr, Dirk (2011): Reform der Grundsteuer – Zu einem blinden Fleck in der Stellungnahme
des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen. In: Wirtschaftsdienst
91/5, 333 338, hier S. 336.