Die Welt steht vor enormen Herausforderungen: Unnachhaltigkeit und Ungleichheit. Diese globalen Probleme sind nicht nur separate Phänomene, sondern eng miteinander verknüpft und können als direkte Symptome unseres aktuellen Geldsystems verstanden werden. Doch es gibt eine Lösung, die bereits vor über 100 Jahren erdacht wurde.
Die fatale Dynamik von Zinsen und Verschuldung

Nobelpreisträger Frederick Soddy hat es auf den Punkt gebracht: „Zinsen erhöhen die Einlagen, und da es ohne Schulden keine Zinsen gibt, wächst auch die Gesamtverschuldung einer Volkswirtschaft synchron.“ Dies ist eine unumstößliche Tatsache, der sich niemand entziehen kann. Das unaufhaltsame Wachstum der Gesamtverschuldung ist eine direkte Folge des Zinsmechanismus in unserem Geldsystem.
Geld als "Blutkreislauf" der Wirtschaft – mit Nebenwirkungen
Geld ist das „Blut“ der Wirtschaft, ein unverzichtbares Medium zum Austausch von Waren und Dienstleistungen. Wie der Blutkreislauf im Körper muss auch das Geld in der Wirtschaft zirkulieren, sonst wird der „Körper“ krank. Doch im Gegensatz zu realen Gütern, die naturgemäß vergänglich sind, lässt sich Geld leicht horten.
Die aktuelle Gestaltung unseres Geldes fördert das einfache Horten von Überschüssen. Dies schafft einen starken Anreiz, mehr zu produzieren, als wir tatsächlich benötigen, und zwingt uns sogar dazu. Der Grund? Geld, das gehortet wird, verliert nicht seinen Wert – im Gegensatz zu vergänglichen Gütern. Wie der bekannte Ökonom Keynes feststellte, versetzt dies den Besitzer des Geldes in die Lage, „den Wert der Knappheit“ dieses Geldes auszubeuten.
Zinsen: Die "Droge" für den Geldfluss und ihre schädlichen Effekte
Der Zinssatz entsteht als Anreiz, Geld zu verleihen und in Umlauf zu bringen. Keynes nannte Zinsen treffend einen „Preis für den Verzicht auf Liquidität“. Wenn Geld der „Lebenselixier der Wirtschaft“ ist, dann ist der Zins die „notwendige Droge“, um es zirkulieren zu lassen. Doch wie jedes Medikament bei langfristiger Anwendung hat auch der Zinssatz starke Nebenwirkungen.
Die Geldmenge und die Gesamtverschuldung eines Landes wachsen nicht linear, sondern folgen einer exponentiellen Funktion. Jeder Betrag, der auf einem Bankkonto oder einem anderen Finanzprodukt eingezahlt wird und Zinsen abwirft, verdoppelt sich nach einiger Zeit. Dies führt dazu, dass wir auf der einen Seite immer mehr Geldeinheiten auf Bankkonten finden, auf der anderen Seite aber auch immer mehr Menschen verschuldet sind. Kurz gesagt: Die Ungleichheit nimmt exponentiell zu.
Die Verknüpfung von Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung

Ein stetiger Anstieg der Gesamtverschuldung bedeutet, dass wir immer härter arbeiten müssen, nur um den Status quo zu halten. Selbst Unternehmen, die nicht über Kredite finanziert werden, sind nicht von der Verpflichtung zum Wachstum befreit, da Zinsen die Opportunitätskosten jeder produktiven Investition darstellen. Jedes Geschäft, das keine Rendite erzielt, die mindestens so hoch ist wie die, die durch eine einfache Bankeinlage erzielt werden könnte, ist wirtschaftlich nicht rentabel. Zinsen geben den Rhythmus vor, in dem die Realwirtschaft tanzen muss.
Die Gesetze der Thermodynamik besagen, dass wir nichts aus dem Nichts produzieren können. Eine stetige langfristige BIP-Wachstumsrate führt unweigerlich zu einer stärkeren Nutzung natürlicher Ressourcen. Daher muss eine Politik, die wirklich „grün“ sein will, unser Geldsystem grundlegend berücksichtigen, um Nachhaltigkeit zu erreichen.
Eine Lösung aus der Vergangenheit: Silvio Gesells "Freie Währung"
Wie können diese Probleme bekämpft werden? Hier kommt der brillante Vorschlag des deutsch-argentinischen Ökonomen Silvio Gesell ins Spiel. Vor 100 Jahren entwarf er eine Währung, die mit einem „Bußgeld“-Mechanismus für übermäßiges Horten ausgestattet ist. Dieses Geld kann daher nicht ewig gehortet werden und zirkuliert ohne Zinsen als Belohnung für die Beseitigung von Liquidität.
Gesells „freie Währung“ würde dem Geld seine „besondere und monopolistische“ Stellung gegenüber den realen Gütern nehmen. Der Geldbesitzer befände sich in der gleichen Lage wie der Besitzer vergänglicher realer Güter und könnte keine Zinsen mehr verlangen. Dieses zinslose Geld würde lediglich dazu dienen, den Austausch von Gütern und Dienstleistungen zu erleichtern, und nicht zur Anhäufung von „virtuellem Reichtum“, wie es Nobelpreisträger Frederick Soddy nannte. Geld würde den Menschen dienen und nicht umgekehrt.
Negative Zinsen als praktischer Ansatz
Der einfachste Weg, Gesells Vorschlag in der Praxis umzusetzen, wäre eine Geldpolitik mit negativem Zinssatz, die von der Zentralbank angewendet wird. Dies müsste nicht nur auf Einlagen von Geschäftsbanken bei der Zentralbank angewendet werden (wie in Europa 2014-2022 geschehen), sondern auch auf Bargeld.
Verschiedene Wege zur Umsetzung wurden bereits diskutiert, jüngst sogar in mehreren Veröffentlichungen des Internationalen Währungsfonds, die explizit auf Gesells Arbeit Bezug nehmen. Was noch fehlt, ist das Verständnis in der Wissenschaft, dass eine solche Politik ein Weg wäre, die großen Herausforderungen der Welt zu bekämpfen, einschließlich Inflation und Finanzkrisen, die ebenfalls ihren Ursprung in der exponentiellen Zunahme der Geldmenge und der Gesamtverschuldung haben. Eine monetäre Reform hin zu einem zinslosen Geldsystem könnte der Schlüssel zu einer nachhaltigen Wirtschaft und zur Reduzierung von Ungleichheit sein.
Autor: Prof. Felix Fuders
Quelle:
FAQ-Fragen zu Geldsystem und Nachhaltigkeit
Das heutige Geldsystem basiert auf Schuldgeld und Zinsen. Dieses System erzeugt einen permanenten Wachstumsdruck, da Geld durch Kredite mit Zinsen entsteht. Um diese Zinsen zu bedienen, müssen Unternehmen und Staaten stetig wachsen – häufig auf Kosten der Umwelt. Dadurch entsteht ein Teufelskreis aus Ressourcenausbeutung, ökologischer Belastung und wirtschaftlicher Instabilität. Eine nachhaltige Wirtschaft ist ohne eine grundlegende Reform des Geldsystems kaum möglich.
Zinsen begünstigen diejenigen, die bereits Vermögen besitzen, da Kapital Einkommen erzeugt, ohne dass dafür gearbeitet werden muss. Gleichzeitig werden Menschen und Unternehmen, die Kredite aufnehmen, durch Zinslasten belastet. So vergrößert sich die Kluft zwischen Arm und Reich. Das führt langfristig zu sozialer Spaltung und wirtschaftlicher Instabilität – typische Symptome eines zinsbasierten Finanzsystems.
Durch den Zinseszinseffekt steigt die Gesamtverschuldung in einem zinsbasierten Geldsystem exponentiell. Diese mathematisch unausweichliche Dynamik führt regelmäßig zu Finanzblasen, Wirtschaftskrisen und einer wachsenden Instabilität in Volkswirtschaften. Die Finanzkrise 2008 ist ein Paradebeispiel dafür, wie unkontrollierte Verschuldung in Kombination mit spekulativen Finanzprodukten zu Systemversagen führen kann.
Im Gegensatz zu realen Gütern verliert Geld nicht an Wert, wenn es nicht genutzt wird. Das ermöglicht es, Geld zu horten, statt es auszugeben oder zu investieren. Dies bremst die Wirtschaft und verstärkt Ungleichgewichte. In einem nachhaltigen Geldsystem sollte Geld zirkulieren und nicht „stillgelegt“ werden – etwa durch Negativzinsen oder umlaufgesichertes Geld, wie es Silvio Gesell vorgeschlagen hat.
Das Zinssystem zwingt Unternehmen zu stetigem Wirtschaftswachstum, um konkurrenzfähig zu bleiben und Renditen zu erzielen. Dieses Wachstumsparadigma führt zu einem immer höheren Ressourcenverbrauch und einer beschleunigten Umweltzerstörung. Langfristig gefährdet es das ökologische Gleichgewicht und steht im Widerspruch zu echter Nachhaltigkeit.
Die Freiwirtschaftslehre von Silvio Gesell schlägt ein zinsfreies Geldsystem mit einer Umlaufsicherung vor. Geld verliert dabei mit der Zeit an Wert, wenn es nicht verwendet wird. Das fördert den Umlauf von Geld, verhindert Hortung und beseitigt die Zinsproblematik. Gesells Idee ist ein historisch bedeutender Ansatz für eine gerechtere und stabilere Wirtschaftsordnung.
Eine zinslose Währung ist ein Geldsystem, in dem Geld nicht durch Zinsen „vermehrt“ wird. Stattdessen dient das Geld rein als Tauschmittel. Es soll den Warenfluss ermöglichen, ohne Kapitalakkumulation zu begünstigen. Ein solches System könnte die soziale Gerechtigkeit stärken und die Vermögenskonzentration reduzieren.
Negative Zinsen entwerten Geld über die Zeit und sorgen dafür, dass es im Umlauf bleibt, statt gehortet zu werden. In Kombination mit einer intelligenten Geldpolitik können sie dazu beitragen, Inflation, Spekulationsblasen und Vermögensungleichheit zu reduzieren. Auch ökologische Transformationen könnten leichter finanziert werden, da Investitionen attraktiver würden.
Unser Geldsystem fördert kurzfristige Gewinne, kontinuierliches Wachstum und Ressourcenverbrauch, um Zinsverpflichtungen zu bedienen. Langfristige ökologische und soziale Folgen werden dabei ausgeblendet. Nachhaltigkeit erfordert ein System, das auf Kreislaufprinzipien und gerechter Verteilung basiert – das Gegenteil unseres heutigen Finanzsystems.
Notwendig sind monetäre Reformen, die Zinsen abschaffen oder stark begrenzen, das Horten von Kapital unattraktiv machen und Investitionen in gemeinwohlorientierte Projekte fördern. Modelle wie Gesells Freigeld, Negative Zinssätze, regional gebundene Währungen oder ein bedingungsloses Grundeinkommen sind konkrete Ansätze, die mehr soziale Gerechtigkeit schaffen könnten.